altVor einer Woche gingen die Einzel-Europameisterschaften in Plowdiw zu Ende. Europameister wurde nach einem fantastischen Schlussspurt mit 3 aus 3 der Russe Dmitry Jakovenko (Bild Mitte). Er schlug in der letzten Runde den Führenden, Laurent Fressinet aus Frankreich (Bild rechts) und verwies seinen Kontrahenten damit auf Rang 2. Dritter wurde Vladimir Malakhov aus Russland (Bild links).

Von den neun Österreichern am Start machte erwartungsgemäß GM Markus Ragger mit Abstand den besten Eindruck. Österreichs einziger Super-GM beendete das Turnier mit 7,5 Punkten aus 11 Partien ohne Niederlage. Von den anderen Österreichern - zwar nicht punkte- oder rangmäßig - jedoch was die ELO-Performance betrifft, spielte IM Milan Novkovic das beste Turnier. Milan spielte in den 11 Runden 10 mal gegen einen ELO-Favoriten, darunter 8 GM's, erreichte dabei 4,5 Punkte was bei der enorm starken Gegnerschaft eine Performance von 2443 und einen ELO-Zuwachs von 8 Punkten bedeutete. Ebenfalls leicht positiv (in der Kategorie ELO-Zuwachs) schnitten die IM's Andreas Diermair und Gerhard Schroll ab. Andreas Diermair kam durch ein sehr starkes Finish mit 3,5 aus 4 noch auf 6 Punkte (+1) und den ausgezeichneten 152. Rang. Sein Highlight bei dieser EM war der Schwarzsieg in der letzten Runde gegen den Esten Kaido Kulaots (2585). Alle anderen mussten leichte bis deutliche ELO-Verluste in Kauf nehmen. Besonders schlimm erwischte es Staatsmeister IM Georg Fröwis, der seine gute Form aus dem Vorjahr in Plowdiw vergeblich suchte, sich aber immerhin mit einem feinen Plus-Remis mit Schwarz gegen den tschechischen ELO-Riesen David Navara (2700) trösten konnte.

Milan verriet dem Autor nach seiner Rückkehr aus Plowdiw noch einige Eindrück von diesen, seinen ersten Einzel-Europameisterschaften:

 

 

Autor: Milan, Du wirst heuer im September 46 Jahre alt. Was hat Dich bewogen zum ersten mal bei einem so extrem schweren Turnier mitzuspielen?

Milan: letzes Jahr fand die EM in der französichen Stadt Aix-les-Bains statt (50 km westlich von Genf). Ich bin hingefahren und hab mir gesagt, da spielst Du nächstes Jahr selber mit.

 

Autor: Das war doch etwas überraschend, nachdem Du Dich in den letzten Jahren ziemlich stark auf deine Tätigkeit als Trainer konzentriert und in der Bundesliga sogar ein Jahr Pause eingelegt hast.  

Milan: Ja, mich hat es aber gereizt, meine Grenzen noch einmal auszuloten. Außerdem sollte man auch als Trainer durch praktisches Spiel am Ball bleiben. Ich wollte selber erfahren, was unsere jungen Spitzentalente auf dem harten Weg nach oben erwartet. Im übrigen fiel mir die Entscheidung auch deswegen leicht, weil diese EM in Plowdiw stattfand. Ich kann mich dort problemlos in meiner Muttersprache verständigen. Tatsächlich habe ich mich in den zwei Wochen dort sehr wohl gefühlt.

 

Autor: Wie hast Du Dich auf dieses Turnier vorbereitet?

Milan: Nachdem ich mir das Ziel, dieses Turnier zu spielen schon vor einem Jahr gesteckt hatte, habe im vergangenen Jahr wieder deutlich mehr an meinem Repertoire gearbeitet. Damit ist die Sicherheit gestiegen. Ich war heuer in der 1. und 2. Bundesliga mit meinen Leistungen auch ziemlich zufrieden. Ich fuhr also mit einem guten Gefühl nach Plowdiw und hoffte, den einen oder anderen halben oder sogar ganzen Punkt gegen GM's zu holen. 

 

Auto: Wie verlief dann das Turnier für Dich?

Milan: Ich bekam in Runde 1 den Russen Sergey Volkov (2623) zugelost und durfte mit weiß spielen. Volkov hatte im Mittelspiel zwar optisch leichte Vorteile konnte aber keinen wirklichen Hebel anbringen. Es gelang mir, alles abzutauschen und ein gleiches Bauernendspiel herbei zu führen. In Runde 2 spielte ich gegen den nächsten 2600-er. Der deutsche GM Rainer Buhmann steckte zuletzt in einer hartnäckigen Formkrise (sein 0 aus 3 aus der Startrunde der Bundesliga sind noch in Erinnerung). Auch hier konnte ich dem Druck standhalten und ein schlechteres Endspiel mit Dame+Springer auf beiden Seiten halten. Ich muss aber zugeben, dass Buhmann in dieser Partie phasenweise eine Gewinnstellung hatte.

 

Autor: Danach hieß Dein Gegner Branko Damljanovic, ein früherer Landsmann von Dir und ein paar Jahre älter als Du.

Milan: Ich kenne einige ex-jugoslawische Großmeister aus der Zeit als ich noch in Banja Luka lebte sehr gut, Damljanovic gehört da aber nicht dazu. Er hat sich königsindisch verteidigt und ich habe die Partie über weite Strecken klar dominiert. Auch nach einem Qualitätsopfer hatte ich das Gefühl, dass ich gut stehe. Gegen einen durchschnittlichen Spieler in der Landes- oder Westliga hätte ich die Partie zu 95 % auch gewonnen. Damljanovic packte aber gerade in der Zeitnotphase (er hatte für die letzen 12 Züge noch 2 Minuten) eine Reihe von besten Zügen aus, ich griff in einem Moment daneben und stand nach der Zeitkontrolle auf Verlust.

 

Autor: Nachdem Du in Runde 4 gegen den einzigen ELO-schwächeren Gegner des Turniers einen sicheren Schwarzsieg erzielen konntest, bekamst Du es in Runde 5 mit einem 16-jährigen Russen zu tun.

Milan: In dieser Partie gegen Vladimir Fedoseev erreichte ich ein Damenendspiel, das eigentlich Remis sein musste. Zum ersten mal spürte ich dann aber in der kritischen Partiephase den Kräfteverschleiß. Während mein jugendlicher Gegner mit aller Macht um einen kleinen Vorteil kämpfe fand ich nicht immer die besten Züge und so überspielte er mich doch noch so um den 65. Zug. 

 

Autor: Du hast dann aber diese Niederlage gut weggesteckt und, obwohl bereits den Ruhetag herbeisehnend, dann in Runde sechs gegen den Russen Nikolai Kabanov den ersehnten GM-Skalp geholt. 

Milan: Mein Gegner spielte einen geschlossenen Sizilianer und da fühle ich mich mit schwarz eigentlich immer recht wohl. Ich konnte im Mittelspiel dann auch den nötigen Druck ausüben und bekam ein besseres Turmendspiel, das ich dann auch gewinnen konnte.

 

Autor: Die zweite Turneirhälfte begann zunächst mit einer starken Vorstellung gegen den israelischen GM Dan Zoler

Milan: ich hatte im Mittelspiel immer leichten Vorteil und erreichte ein besseres Damenendspiel, das ich lange Zeit auf Gewinn spielte. Ich glaube wir waren schon die letzten im Turniersaal, als es meinem Gegner gelang die Damen zu tauschen und in ein gleiches Bauernendspiel überzulenken. Diese Partie kostete sehr viel Substanz. Ich hab außerdem sehr viel Zeit mit Vorbereitung und Partieanalyse verbracht und zu kurze Erholungsphasen gehabt. Dazu kam bedingt durch die ständig laufende Klimaanlage im Turniersaal eine leichte Erkältung. All das spürte ich dann besonders in der tags darauf folgenden Partie, mit 31. Zügen der kürzesten des gesamten Turniers. Ich hatte da gegen den französischen GM einfach nicht die Kraft eine gedrückte Stellung zäh genug zu verteidigen.

 

Autor: Gegen den Bulgaren Arnaudov wolltest Du es aber in der folgenden Runde noch einmal wissen.

Milan:  Ja, ich erreichte mit weiß in einem Königsinder ein Endspiel mit deutlich besserer Bauernstruktur. Das aktive Figurenspiel meines Gegners erwies sich jedoch als ausreichend, der Mehrbauer war bedeutungslos.

 

Autor: Was passierte dann in den letzten zwei Runden?

Milan: Zunächst konnte ich dem jungen und sehr ambitionierten weißrussischen IM Vladislav Kovalev (2477) aus schwieriger Stellung heraus ein Remis abtrotzen. Wie in der Runde zuvor gegen Arnaudov bedeutete das das Ende der GM-Normträume für meine beiden Gegner. Besonders Kovalev konnte seine Enttäuschung darüber kaum verbergen. Emotionen spielen in so einem Turnier eine bedeutend größere Rolle, als man gemeinhin annimmt. Natürlich kommt beides vor, positive und negative Emotionen. Überborden die Emotionen dann fällt es schwerer zur Ruhe zu kommen. Es fehlt dann manchmal einfach das nötige Ausmaß an Schlaf. Die 4 aus 10 die ich bis dahin erspielt habe reichten dann aus, dass ich zum Abschluss mit Vlad-Cristian Jianu einen weiteren Großmeister zugelost bekam. In einer schwierigen von vielen taktischen Motiven geprägten Partie erhielt mein Gegner einen unwiderstehlichen Königsangriff.  

 

Autor: Du hast mit 4,5 aus 11 und Rang 250 ziemlich genau den Platz in der Setzliste erreicht (247). Gegen acht GM's gab es einen Sieg sowie drei Remis, gegen die beiden jungen IM's konntest beide male remisieren und den einen Pflichtsieg hast Du gemacht. Zufrieden?

Milan: Ich hab nach einer Niederlage immer sofort wieder ein positives Resultat erzielt, bin nicht in ein Loch gefallen, was in so einem Turnier sehr leicht passieren kann und vielen auch passiert ist. In der ersten Woche (Partien 1-6) verlor ich zweimal denkbar knapp, konnte aber mit zwei Siegen die 50% halten. In der zweiten Woche (Partien 7-11) verlor ich zweimal zu leicht und konnte zwei vorteilhafte Endspiele nicht verwerten. Im gesamten Turnier war mein Gegnerschnitt knapp über 2500, aber meine Energieressourcen reichten auf einem hohen Niveau nur für eine Woche. Mit dem Turnierverlauf und Gesamtperformance bin ich sehr zufrieden. Es war mein bisher mit Abstand stärkstes Turnier.

 

Autor: Was sagst Du zu Markus Raggers Leistung? Bei ihm hatte man nie den Eindruck, selbst gegen stärkste Konkurrenz nicht und wurscht, ob mit schwarz oder weiß, dass er eine Partie verlieren könnte.

Milan: Was soll man dazu noch sagen? Markus ist zurecht in den Top-100 Spielern der Welt und auf dem Weg in den 2700-er Klub. Für mich gibt es keinen Zweifel, dass er das schaffen wird. Er ist mehr 20 Jahre jünger als ich lebt ein vorbildliches Sportlerleben und ist ein sehr harter Arbeiter. Daher konnte ihn niemand in der Eröffnungsphase in Schwierigkeiten bringen. Stellungsvorteile hat er technisch sauber verwertet und gegen Weltklasseleute wie Movsesian, Riazantsev, Jakovenko, Vitiugov und Dreew mehr oder weniger mühelos ausgeglichen. Mit Rang 25 hat er noch Chancen für den Weltcup nominiert zu werden.

 

Autor: Spielst Du noch einmal eine EM oder ein anderes internationales Großereignis?

Milan: Nein, so schnell nicht wieder. Jetzt stehen aber erst einmal die 4 Schlussrunden in der 1. Bundesliga in Jenbach an. Hohenems steht am 3. Platz und wenn es einigermaßen läuft, dann "droht" die Europacup-Qualifikation. Gespielt würde im Oktober im israelischen Eilat am roten Meer. Klingt reizvoll, aber ich muss erst einmal schauen, ob noch was vom Jahresurlaub übrig ist.

 

Autor: Danke für das Gespräch und alles gute.

 

Milans Partien (in der offiziellen Partiesammlung unter anderem auch mit den Partien der anderen Österreicher sind leider einige Eingabefehler enthalten)

Einige Bilder und Eindrücke aus Plowdiw

Seite des Veranstalters mit Rundenberichten

Ergebnisse auf chess-results.com

 

ReiKun, 7. April 2012