Die sich seit Monaten zuspitzende politische Auseinandersetzung zwischen Russland und dem Westen um die Ukraine hat die FIDE und die Schacholympiade in Tromsø erreicht. Vor zwei Tagen hat das lokale Organisationskomitee unter der Leitung von Jøran Aulin-Jansson, dem Präsidenten des Norwegischen Schachverbandes, den Ausschluss mehrerer Teams verlautbart, die die Deadline zur Abgabe der Spielermeldungen nicht eingehalten haben. Unter den Ausgeladenen befindet sich das Russische Damenteam, welches bei den Olympiaden 2012 und 2010 jeweils die Goldmedaille errungen hat. In den Augen des Russischen Verbandes und der von ihm dominierten FIDE ist das natürlich eine unglaubliche Provokation. Die FIDE hat sogleich scharf mit einem Ultimatum zurück geschossen. Sämtliche Beschlüsse des Norwegischen Komitees wurden für illegal erklärt und die Rücknahme der Beschlüsse bis Montag, 21. Juli 11.00 Uhr verlangt. Anderenfalls wird offen die Absage der Olympiade angedroht. Was steckt hinter dieser Entwicklung? Ist es wie von FIDE-Vizepräsident Israel Gelfer vermutet Garry Kasparov, der beim FIDE-Kongress in Tromsø Amtsinhaber Kirsan Iljumschinov um die Präsidentschaft herausfordern wird? Sitzt doch der Mastermind und Financier der Kasparov Kandidatur, Ignatius Leong als Turnierdirektor im Organisatioskomitee.....
Fakt ist, dass der Russische Verband seine Namensmeldung lange hinausgezögert hat, da man Kateryna Lagno unter allen Umständen im Russischen Team haben wollte und deren Übertritt pikanterweise vom Ukrainischen zum Russischen Verband von der FIDE erst am 11. Juli abgesegnet wurde. Die aus dem derzeit umkämpften Donezk stammende Großmeisterin wurde 2014 russische Staatsbürgerin und lebt schon seit längerer Zeit in Moskau, lt. eigenen Aussagen habe ihr Übertirtt nichts mit den aktuellen politischen und kriegerischen Auseinandersetzungen in der Ukraine zu tun. Nichts desto Trotz hat der Ukrainische Verband unter Präsident Viktor Kapustin vehement gegen den Übertritt protestiert, vergeblich. Ist es also kleinliches Hick-Hack gekränkter Funktionärs-Egomanen oder kann man da durchaus mehr dahinter vermuten?
Jeder Schachspieler weiß um den enormen Stellenwert, den das königliche Spiel in Russland nach wie vor genießt. Erst kürzlich hat Staatspräsident "Zar Putin himself" zusammen mit FIDE-Präsident Iljumschinov und dem neuen Präsidenten des Russischen Schachverbandes Andrey Filatov das traditionsreiche Jugendturnier "weisser Turm" in der Olympiastadt Sotschi eröffnet. (Bild: Vladimir Barsky). Der Ausschluss des russischen Damenteams, wenn es denn dabei bleibt, würde mit Sicherheit das Fernbleiben des Männerteams nach sich ziehen vermutlich mit weiteren unvorhersehbaren Reaktionen von Nationen, die sich mit den Russen solidarisieren würden. Sanktionen gegen Russland, eine Politik der Nadelstiche, sind ja an der Tagesordnung. Hat sich die Politik entschieden, den politischen Kampf auf die 64 Felder auszudehnen? Man fühlt sich jedenfalls an das Jahr 1980 erinnert, als viele westliche Staaten als Reaktion auf den russischen Einmarsch in Afghanistan den Olympischen Sommerspielen in Moskau fern blieben. Als Reaktion darauf, blieb dann auch der Osten den Spielen in Los Angeles 1984 fern. Für die jüngeren Leser/innen: das nannte man damals kalter Krieg.
Weit hergeholt? Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Wie bekannt hat die neonazistische Partei Swoboda in der Ukrainischen Regierung ein gewichtiges Wörtchen mitzureden. Einer der radikalsten Repräsentanten der Partei ist der Parlamentarier Juri Michaltschischin, Sohn von Großmeister Adrian Michaltschischin ..... Schach und Politik, Verflechtungen gibts es da mit Sicherheit nicht nur in Russland.
Wer würde dem Westen derzeit wohl besser als FIDE-Präsident ins Konzept passen? Putin-Intimus Iljumschinov oder Putin-Todfeind Kasparov? Muss die Frage wirklich beantwortet werden? Auf EU-Ebene wird eine Federica Mogherini trotz akutem Frauenmangel in Jean-Claude Junckers Team als mögliche Aussen-Kommissarin grad abserviert, da sie als zu "russenfreundlich" gilt. Der Kampf tobt auf allen Ebenen. Die Scharfmacher lassen keine Gelegenheit aus.
An Russlands Politik gibt es andererseits mehr als genug zu kritisieren, Justizwillkür, Homophobie und Großmachtgehabe, Menschrechtsverletzungen, ... ok, dies ist an sich keine Seite für politsche Kommentare. Aber auch an Langzeit-FIDE-Präsident Iljumschinov haften Skandale und ungeklärte Vorgänge um verschwundene Journalisten zu seiner Zeit als kalmykischer Republikspräsident. Die Spatzen pfeiffen es von den Dächern mit welchen dubiosen Methoden er sich von Kongress zu Kongress seine Wiederwahl sichert.
Im Lichte dieser für den Schachsport höchst unerfreulichen Entwicklungen ist zu hoffen, dass sich der abzeichnende Eklat um die 41. Schacholympiade 2014 doch noch abwenden lässt und die Kräfte der Vernunft sich durchsetzen werden. Viel Zeit bleibt nicht mehr. Was die Wahl des Präsidenten betrifft, wäre es eigentlich angesagt, sich auf einen Kompromisskandidaten zu einigen. Weder Iljumschinov noch der viel zu stark polarisierende Kasparov sind für eine gedeihliche Entwicklung geeignete Kandidaten. Was meinen Sie Herr Präsident Jungwirth?
Update 19. Juli 2014:
Die Schachwelt ist in Aufruhr, obwohl, Probleme mit Großereignissen, auch Schacholympiaden, gab es auch schon in der Vergangenheit. So wurde z.B. die 31. Olympiade im Jahre 1994 nach finanziellen Problemen des Griechischen Ausrichters kurzerhand nach Moskau verlegt.
Seit gestern gibt es Gerüchte, dass die 41. Schacholympiade - sollte das Norwegische Organisationskomitee nicht einlenken - mit Unterstützung Präsident Putins nach Sotchi, dem Ort der letzten Olympischen Winterspiele verlegt werden soll. Ein Fonds in Höhe von 2 Millionen Dollar für die Umbuchung der Flüge soll bereit stehen.
Iljumschinov in Novi Sad: die Olympiade findet in Tromsø statt!
Na dann!